Samstag, 26. April 2014

Frühling in Wien


Nach dem Winter erwacht Wien gleich dem Dornröschen, das, von einem Prinzen geküsst, die Augen aufschlägt.
Frühling in Wien ist wie ein Lächeln, das Griesgrämigkeit verscheucht, ein musikalischer Ohrwurm, der fortwährend nachklingt, ohne zu nerven.
Und plötzlich ist er da, dieser unvergleichliche Duft, dieser ganz besondere Wiener Frühlingsduft, herbeigeweht vom Wienerwald, aus Parkanlagen und von blühenden Alleebäumen. Die ganze Stadt duftet nach Lindenblüten, Flieder und Akazien. Schimmerndes Luftgespinst webt über Hausfassaden, wird zu Azurblau, das hochsteigend sich als Himmelsgewölbe über die Stadt spannt.

Rosemarie Philomena Sebek im Rathauspark, Frühling 2014

Frühling in Wien ist für mich etwas ganz Besonderes, ein Ohren- gleichwie Augenschmaus, ein Duftgenuss, ein Fest für alle Sinne. 


Zitiert aus Rosemarie Philomena Sebek: Er nannte mich Wardi. Ein autobiographischer Roman. Wien: Verlag Edition Mokka. 2013. Hardcover, 365 Seiten. ISBN 978 3 902693 48 8.
Fotos: Isabella Höbarth.





 

Montag, 21. April 2014

Manneken Pis und das Zwölfstern-Banner der EU


Tagein, tagaus pinkelt er vor sich hin, der Manneken Pis. Seit etwa vierhundert Jahren ist das kleine, gerade einmal einundsechzig Zentimeter große, besser gesagt kleine wasserlassende Männchen aus Bronze eines der Wahrzeichen von Brüssel, der belgischen Hauptstadt, in der sich auch der Hauptsitz der Europäischen Union befindet. Ein seltsames Paar, der urinierende Knabe und das Zwölfstern-Banner der EU, von dem es unter anderem heißt, es symbolisiere den Kopfschmuck der Mondsichelmadonna.

Es ist bekannt, dass sich das Kräftemessen unter Buben keineswegs auf Rempeln, Raufen und Haxlstellen beschränkt. Nein, sie pinkeln von klein auf um die Wette. Wer es schafft, seinen Urinstrahl im größten Bogen am weitesten zu lenken, ist Sieger, wird zum Anführer gekürt, hat das Sagen, auch wenn es einmal nicht nur ums Pinkeln geht. Wann immer ich einen Mann fragte, ob das tatsächlich gängige Praxis sei, erfolgte bestätigendes Augenzwinkern und genüssliches Reiben der Handflächen. Kann sein, dass ich zumeist Pinkelsieger angesprochen habe. Und die Vermutung, Pinkeln sei für männliche Wesen eine rituelle Handlung, ist naheliegend. Nehmen sie – Buben und Männer - in Gegenwart von Artgenossen doch ihr bestes Stück in die Hand, um ihresgleichen zu zeigen, wozu sie fähig sind. 

Fakt ist, dass Mädchen und Frauen der männlichen Pinkelfähigkeit wenig bis nichts entgegenzusetzen haben. Müssen sie in Frohnatur Pipi machen, wie sie es nennen, gehen sie hinter dem nächstliegenden Gebüsch in die Hocke. Ginge es darum, ein Revier zu markieren, wäre ihr auf diese Weise zustande gekommenes Pinkelergebnis nicht nennenswert. Für kleine und große Buben, eine lachhafte Leistung. Nicht einmal des Ignorierens wert.
Auch hier zeigt sich, wie unterschiedlich Buben und Mädchen sind, eine Unterschiedlichkeit, die sich das ganze Leben – wieder auf unterschiedlichste Art und Weise – bemerkbar macht. Zum Beispiel, um beim Thema zu bleiben, auf Toiletteanlagen.

Als leitende Redakteurin einer technisch-wissenschaftlichen Fachzeitschrift nahm ich oft als einzige Frau an Fachtagungen und Pressekonferenzen teil. Wenn es sein musste, suchte ich in Pausen die Toilette auf. Natürlich allein, da ich ja die einzige weibliche Tagungsteilnehmerin war. Wären noch andere Frauen anwesend gewesen, hätte ein gemeinsamer Aufenthalt im Waschraum der Toiletteanlage wahrscheinlich, außer zur Erneuerung der Schminke, auch zum Austausch privater Angelegenheiten gedient. Sozusagen zum gegenseitigen Kennenlernen. 

Ganz anders dürfte es sich bei Männern abspielen. In Pausen von Geschäftsbesprechungen, Konferenzen, politischen, wissenschaftlichen oder sonstwie weltbewegenden Zusammenkünften ist es gängige Praxis, dass mehrere gemeinsam die Toiletteanlagen – das Pissoir - aufsuchen. Denkbar, dass das gemeinsame Erleben von Erleichterung nach erfolgtem Wasserlassen ehemalige Kontrahenten zumindest kurzfristig zu Kumpel zusammenschweißt, die Übereinkünfte treffen, die sie zuvor niemals getroffen hätten. Ein zeit-, generationen- und weltumspannendes Phänomen. Ist das einer der Gründe, weshalb sich Männerherrschaft dermaßen nachhaltig etablieren konnte? Weltreiche, Kulturen und Religionen kamen und gingen. Doch das Patriarchat hat all dieses Kommen und Gehen überdauert. Haben sich Männer ihre Herrschaft über die Welt und über alles, was sich auf und in ihr befindet, erpinkelt? Diese Schlussfolgerung scheint mir angesichts vorangegangener Überlegungen keineswegs aus der Luft gegriffen zu sein. 

Abschließend sei noch eine Seltsamkeit erwähnt, die mir nachdenkenswert erscheint. Im Jahr 1987 wurde in Brüssel als Gegenstück zum Manneken Pis ein hockendes urinierendes Mädchen als Brunnenfigur geschaffen, das sogenannte Janneken Pis. Durchaus möglich, dass damit ein Zeichen im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes gesetzt werden sollte, um radikale Feministinnen davon abzuhalten, auf die Barrikaden zu gehen. Wie dem auch sei, in meinen Augen ein groteskes Unterfangen, zumal 1998 der Zinneke Pis, ein pinkelnder Bronzehund, hinzukam. Ein bizarres Triumvirat unter dem Zwölfstern-Banner der Europäischen Union, das für Christen die Krone der Sternenkönigin Maria symbolisiert. Was das wohl zu bedeuten hat?