Dienstag, 18. November 2014

Adventzeit der Menschheit

Adventzeit der Menschheit
Blick aus meinem Fenster: Wien-Favoriten im Advent


Man sollte meinen, 6000 Jahre Patriarchat seien genug. Mitnichten. Weltweit wird mehr denn je unterworfen, ausgebeutet, materieller und geistiger Müll produziert. Unmöglich, sich von Lügen-, Betrugs- und Elendesgeschichten frei zu halten. Dafür sorgen die Medien. Die einen machen mit Betrügereien und Ausbeuterei Geschäfte, die anderen, indem sie lautstark darüber berichten. Dabei beginnt jetzt die Vorweihnachtszeit. Der Advent, von dem es noch in meiner Kindheit hieß, er sei die stillste Zeit des Jahres, in der sich die christliche Welt auf die Geburt des Heilands vorbereitet, der das Licht der Welt, der Friedensfürst ist.

Das historische Geschehen dieser Geburt liegt über zweitausend Jahre zurück. Dennoch leben Menschen nach wie vor in Angst und Schrecken, sie könnten von ihresgleichen unterdrückt, um Hab und Gut, ja sogar um ihr Leben gebracht werden. Obwohl der Menschensohn, der für Christen die Manifestation des Göttlichen auf Erden ist, sein Leben für die Erlösung der Menschheit hingab, war damit menschlicher Gewalttätigkeit keineswegs ein Ende gesetzt. Wenn wir die historischen Aufzeichnungen der letzten beiden Jahrtausende betrachten, erweckt es den Eindruck, als entspräche der alttestamentarische Brudermord der menschlichen Natur mehr als das Gebot der Nächstenliebe. Es ist das vergossene Blut von Millionen und Abermillionen Hingeschlachteter, das sich gleich einem roten Faden durch die Menschheitsgeschichte bis in unsere Gegenwart zieht.

Welchem Nährboden entsprießt dieser Ungeist, der im Andersseienden, im Andersdenkenden und Andersgläubigen einen potentiellen Feind sieht, den es gilt, mit allen erdenklichen Mitteln zu bekämpfen und niederzumachen? Weshalb ist es üblich, derlei Gräuel – je nachdem welcher Kämpferpartei man angehört – als Heldentaten zu glorifizieren? Oft stellte ich diese Fragen vornehmlich Männern, die ich für gescheit und gebildet hielt. Meistens bekam ich sehr rasch und wie aus der Pistole geschossen die Antwort, das läge in der Natur des Menschen. Es habe immer Kriege gegeben und werde auch künftig immer Kriege geben. Solche Ansichten verursachten mir stets Übelkeit ebenso wie die auch heutzutage noch vielfach vertretene Auffassung, Frauen seien von Natur aus weniger für Führungspositionen in Politik und Wirtschaft sowie für herausragende Leistungen in Wissenschaft und Kunst geeignet als Männer, wiewohl es Ausnahmen gäbe. Keine Ausnahme gibt es hingegen in der katholischen Kirche und auch in vielen anderen Religionsgemeinschaften, in denen eine ausgesprochene Männergesellschaft darüber wacht, dass der Hirtenstab nur ja nicht in Frauenhände überwechselt. Und zwar mit Recht, wie – unter Berufung auf Offenbarungsworte – oftmals behauptet wird. Mir wollte nie einleuchten, dass dies einem göttlichen Willen entspräche oder unumstößliches Naturgesetz sei. 

Die Welt der Männer – wozu nahezu alle öffentlichen Bereiche des menschliches Lebens zählen – ist zumindest für jene, die Führungspositionen innehaben, aber auch für eine große Anzahl von Mitläufern, eine zweifellos faszinierende. Man könnte meinen, dass sie – die Männer – die ganze Welt als eine Art überdimensionales Sportstadion betrachten, in dem sie sich in verschiedenen Disziplinen üben und nach von ihnen geschaffenen Regeln Wettkämpfe austragen. Dort perfektionieren sie ihre Fähigkeiten, messen Kraft und Geschicklichkeit, spielen einander den Ball zu, tricksen einander aus und trainieren nicht nur ihren Sport-, sondern auch ihren Kampfgeist, da es gilt, die anderen – so sie nicht dem eigenen Team angehören – zu besiegen. 

Und welcher Platz kommt in einem derartigen Welt- und Lebensszenario den Frauen zu? An dieser Stelle sei nur eines der zahlreichen Zitate aus der Weltliteratur herausgegriffen: 

Der Mann macht sich das Bild des Weibes, 
und das Weib bildet sich nach diesem Bild.
(Friedrich Nietzsche)

Wer kennt nicht dieses vordefinierte Bild? Das Bildnis der alles Verstehenden, alles Verzeihenden, geduldig Ertragenden, niemals in ihrer Liebe Erlahmenden. Welche Frau hat nicht versucht, diesem Bild zu entsprechen und erging sich in Selbstzweifel und Selbstvorwürfen, wenn sie sich in ihren Bemühungen überfordert fühlte? Man mag nun einwenden, auch der Mann sei bestrebt, einem vorgegebenen Bild des Männlichen zu entsprechen. Dennoch gibt es hier einen gravierenden Unterschied. Denn das Bildnis des Mannes wurde von seinesgleichen entworfen. Die Frau und ihre Stellung in Familie und Öffentlichkeit wurden hingegen von Männern definiert. Es ist eine Rangordnung, der ein Wertgefälle von Männlich in Richtung Weiblich zugrunde liegt, was in vielen Gesellschafs- und Glaubenssystemen sogar bis in die Gegenwart gesetzlich verbrieft ist. In der Tierwelt gilt vornehmlich das Recht des Stärkeren. Sollte sich der Mensch dahingehend nur geringfügig oder überhaupt nicht von manchen Tierarten unterscheiden? Sind Menschen immer auf diese Weise mit ihresgleichen und mit den Gaben von Mutter Erde umgegangen? Wohin hat uns diese Haltung gebracht, und vor allem, wohin steuern wir auf diese Weise? Mit einem Wort, es sind die uralten und dennoch aktuell gebliebenen Fragen, die uns hier beschäftigen. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

Advent, das ist zumindest in unserem Bereich die Zeit der kurzen Tage und langen Nächte, weshalb wir ihn auch die dunkle Zeit des Jahres nennen. Advent leitet sich aus dem mittelhochdeutschen advente ab, das soviel wie Ankunft bedeutet. In diesem Wort steckt das lateinische venire, das „kommen“ heißt. Mit diesem venire wurde auch das französische „souvenir“ gebildet, das erinnern heißt. Das Erwarten einer Ankunft und das sich Erinnern – beides hängt miteinander zusammen. Wir können nur etwas erwarten, von dem wir zumindest eine ungefähre Vorstellung haben, da es einer uns innewohnenden Erinnerung entspricht.

Wenn wir in Zeiten der Stille in uns gehen, woran erinnern wir uns? Worauf hoffen wir? Unsterblich sind die Paradiesträume der Menschheit von einem Leben in liebender Eintracht, egal ob sie nun als Vision in einer fernen Zukunft oder in der eines versunkenen Goldenen Zeitalters angelagert sind. In jedem Kulturbereich haben Mythen und Sagen überlebt, durch die Erinnerungen an ein wunderbares Leben in weit zurückliegender Vorzeit im kollektiven Unterbewusstsein wachgehalten werden, so dass die Hoffnung, irgendwann beziehungsweise irgendwo das verlorene Paradies oder – wie die Kelten es nannten – das blühende Reich Logres wiederzufinden, niemals endgültig schwand.

Es erweckt tatsächlich den Eindruck, als träumte die gesamte Menschheit seit Tausenden von Jahren den gleichen Traum, als erschaute jeder einzelne Mensch ähnliche archetypische Bilder, wenn er den Sinn des Daseins hinterfragt. Es heißt, dass Menschen, die keine Träume haben und unfähig sind, ihre Ängste, Befürchtungen und Sehsüchte in verständlichen Bildern sinnvoll auszudrücken, krank werden. Ebenso ergeht es einer Gesellschaft, der die Fähigkeit abhanden gekommen ist, einen kollektiven Traum wahrzunehmen und darauf mit sinnvollen Handlungen zu reagieren. Sie ist krisenanfällig, je nach Gutdünken einiger weniger manipulierbar und nicht in der Lage, sich selbst zu heilen.

Kranksein bedeutet, aus einer Ordnung, aus einer harmonisch funktionierenden Ganzheit herausgefallen zu sein. Wir leben in einer solcherart kranken Gesellschaft, die unter der Gespaltenheit der Geschlechter leidet, was ihren Niederschlag in der Politik, in der Wirtschaft, Wissenschaft und einer einseitigen patriarchalisch-technokratischen Arbeitswelt findet. Die Quelle des Unheils ist weniger in der Polarisierung von Kräften zu sehen, sondern in deren unausgewogener Wirksamkeit.

Wir wissen heute auf Grund prähistorischer Funde, dass unser Glaube an eine friedliche Koexistenz der Geschlechter kein utopischer Traum ist. Bereits 6000 v. Chr. siedelten im Donauraum Menschen, die vom Ackerbau und in geordneten sozialen Strukturen miteinander lebten. Da damals als oberstes göttliches Prinzip die Große Göttin als Spenderin und Erhalterin des Lebens verehrt wurde, hatte das natürlich eine hohe Wertschätzung des Weiblichen zur Folge, was jedoch nicht bedeutete, dass die Frau im Gemeinschaftsleben über den Mann dominierte.

Die Wertschätzung allen Lebens, Lebenserhaltendem und Lebensspendendem prägte die Haltung und Lebensgestaltung dieser Menschen, auch ihre technologischen Errungenschaften, die der Erleichterung der täglichen Arbeit und würdigen Verehrung der Großen Göttin dienten. Diese friedliche Koexistenz in fruchtbaren Tälern des alten Europas währte einige Jahrtausende, bis sie etwa 3500 bis 3000 v. Chr. durch den Einfall bewaffneter Nomadenstämme, die auf der Suche nach fruchtbaren Weiden für ihre Herden aus dem fernen Osten – von jenseits des Schwarzen Meeres – kamen, ein Ende fand. Archäologen vermuten, dass diese Okkupationen durch das unvermutete Auftreten von berittenen Menschen als Waffenmaschinen zu einem tiefgreifenden Wandel geführt haben, der schlussendlich in der Entthronung der Großen Göttin durch männliche mit Blitz und Donnerkeil ausgestattete Gottheiten gipfelte und das Ende einer egalitären Gesellschaft bedeutete.

Das Auftreten der Bedrohung von Menschen durch Menschen brachte es unter anderem mit sich, dass die körperlich stärksten Männer, die meist auch die brutalsten waren, als Anführer galten. Macht bedeutete nicht länger, Leben zu geben und zu erhalten, sondern es auslöschen zu können. Durch die Ablösung des Matriarchats durch das Patriarchat wurde die Entwicklung von Technologien fortan zur Männersache. Es ging nicht länger ausschließlich darum, Werkzeuge und Gegenstände für den täglichen Gebrauch zu produzieren. Kampferprobte und kampfbegierige Männer benötigten todbringende Waffen. Heute erleben wir die logische Konsequenz dieser Jahrtausende andauernden Entwicklung, die uns außer vielen durchaus begrüßenswerten technischen Errungenschaften nukleare und biologische Vernichtungswaffen beschert hat.

Wir blicken also auf eine etwa 6000 Jahre dauernde Entwicklung zurück, die sich unter männlicher Dominanz vollzogen hat. Erst durch archäologische Funde im letzten Jahrhundert weiß man, dass es eine Gesellschaft ohne Patriarchat gegeben hat. Dadurch wurde der Glaube an die Universalität patriarchalischer Familien- und Gesellschaftsstrukturen ernsthaft erschüttert und althergebrachte Denkschablonen sowie Glaubensbilder, wozu auch das mit dem Attribut des Männlichen ausgestattete monotheistische Gottesbild gehört, in Frage gestellt.

Viele Jahrtausende führten Frauen als gewissermaßen zweitrangige Menschen ein Leben, das ihnen weder erlaubte über sich selbst noch über Sachwerte im eigenen Namen zu verfügen. Wenn wir die in Schulen unterrichtete Menschheitsgeschichte vom Altertum an betrachten, so können wir nicht umhin, sie als ein Pathos einseitiger Männlichkeitsverherrlichung zu bezeichnen. Für Frauen, eine lange Epoche der Existenz auf der Schattenseite des Lebens, die ich als die dunkle Zeit oder Adventzeit der Menschheit bezeichne, die nicht nur dem weiblichen Geschlecht, sondern dem gesamten Menschengeschlecht unsagbares Leid bescherte.

Trotz massiver Bemühungen, den Glauben an die vorpatriarchalische Große Göttin auszulöschen, blieb in den meisten Gesellschafts- und Glaubenssystemen eine gewisse Wertschätzung des Weiblichen erhalten. Andernfalls hätten diese Systeme und die Menschheit wohl kaum eine Überlebenschance gehabt. Das betrifft auch die katholische Kirche.

Die matriarchale Triade ist ein archetypisches Bild, das – allerdings auf männlich umpolarisiert – in der christlichen Trinität von Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist weiterlebt. Dennoch gibt es in dieser Vaterreligion eine Art Muttergöttin, seit Maria im Jahr 421 n. Chr. am Konzil zu Ephesos zur Gottesgebärerin, also zur Gottesmutter, erklärt wurde. Obwohl die leibfeindlichen Kirchenväter nichts unversucht ließen, die Heilige Jungfrau zu entsexualisieren, wurden diese Bemühungen in der religiösen Kunst durch realistische Darstellungen der Schwangerschaft Mariens und wie sie das Jesuskind stillt wenigstens einigermaßen wieder ausgeglichen. In gewissem Sinn wurde die lebensspendende und nährende Funktion der Alma Mater, der Großen Mutter, auf sie übertragen. Das einfache Kirchenvolk kümmerte sich wenig um scholastische Spitzfindigkeiten und verehrte in der christlichen Gottesmutter, wenn auch unbewusst, die große Göttin, die als Himmelskönigin Trost und Hilfe spendet.

Es gibt im Musée du Cluny in Paris eine Marienstatue (siehe li. Abb.), deren Körper man wie die Türen eines Flügelaltars öffnen kann, wobei im Leib der Madonna Gottvater und der gekreuzigte Jesus zum Vorschein kommen. Die sich öffnende Heilige Jungfrau als Gebärerin des Sohnes und des Vaters. Eine Trinität, in der das Symbol des Heiligen Geistes fehlt. Geist heißt im Hebräischen „Ruach“ und ist weiblichen Geschlechts. Sollte er in dieser Darstellung etwa durch Maria repräsentiert werden? Maria, das heilige Gefäß, das in der christlichen Mystik zum lebendigen Gral wurde, der das Blut und die geistige Essenz Christi enthält.[1]

Auch die jungfräuliche Geburt des Gottessohnes hat Jahrtausende alte Vorbilder. So gebiert zum Beispiel die ägyptische Göttin Hathor allmorgendlich den Sonnenball aus jungfräulichem Leib. Die Jungfräulichkeit der Göttin hat allerdings nichts mit Sexualfeindlichkeit zu tun, sondern ist Ausdruck weiblicher Vollkommenheit, aus der heraus sie gebiert.

Viel Kopfzerbrechen bereitete es dem christlichen Klerus, die Mutter Jesu von dem Makel des Sexualaktes, der eng mit der Erbsünde verknüpft ist, reinzuwaschen. Galt doch gemäß den Schriften des Thomas von Aquins der Geschlechtsverkehr als schändliche Befleckung. Maria konnte also nur durch den Heiligen Geist empfangen haben, andernfalls wäre auch der durch sie geborene Erlöser mit Unreinheit behaftet worden. Doch damit nicht genug. Die Diskussionen gingen weiter. Um auch Maria von der Erbsünde zu befreien, wurde am 8. Dezember 1854 von Papst Pius IX das Dogma ihrer unbefleckten Empfängnis verkündet, was besagt, dass auch Anna, Marias Mutter, von Unreinheit freigesprochen wurde und ihr Kind trotz natürlicher Zeugung und Geburt vom Makel der Erbsünde bewahrt worden ist. Ja, über solche Fragen haben sich Verantwortliche der Christenheit Jahrhunderte lang den Kopf zerbrochen, da für sie weibliche Vollkommenheit nur unter Aberkennung der Geschlechtlichkeit vorstellbar war und – diesen Eindruck habe ich - auch heute noch ist.

Doch all die patriarchalischen Umkehrungsversuche konnten im Laufe von Jahrtausenden die archetypischen Bilder des geist- und lebensspendenden weiblichen Aspekts von Göttlichkeit niemals gänzlich verdrängen. Wir alle tragen diese Bilder in uns, ebenso wie die Überzeugung, dass Menschen einander nicht unbedingt bekämpfen und ihren Heimatplaneten restlos ausbeuten müssen.

Jeder Mensch erinnert sich an seine Kindheit. Desgleichen gilt für die gesamte Menschheit. Im kollektiven Unterbewusstsein sind Erinnerungen an die Kindertage der Menschheit gespeichert, da Frauen und Männer unter dem Schutz und der Obhut der Großen Göttin sich in den Grundregeln eines friedlichen Zusammenlebens übten und dankbar für die Gaben der Natur waren. Als allerdings die Pubertät einsetzte, wollten die Menschenkinder ihre Kräfte messen und nach anderen Gesetzen leben, was zur Folge hatte, dass die stärksten Buben das Ruder übernahmen und bis heute nicht mehr aus den Händen gegeben haben. Gegenwärtig nehmen wir bestürzt zur Kenntnis, wohin wir durch hemmungslose ökologische Ausbeutung, Expansions- und Aggressionslust geraten sind. In einer durch wirtschaftliche und politische Verflechtungen klein gewordenen Welt haben wir Grenzen erreicht, die zu überschreiten keineswegs ratsam ist. Nicht nur einzelne Völker, sondern die ganze Menschheit steckt in einer massiven Krise.

Es wäre sicherlich gefehlt, das Rad der Zeit oder Geschichte zurückdrehen zu wollen und das Heil in einer matriarchalischen Gesellschaftsordnung zu suchen. Das hieße für die Menschheit, in ein frühkindliches Stadium zurückzufallen. Wir sollten uns jedoch der Notwendigkeit stellen, erwachsen zu werden. Das bedeutet, dass wir das Pubertätsstadium, also das Patriarchat, in dem das Menschengeschlecht noch immer steckt, überwinden und uns endlich zu erwachsenen Menschen entwickeln. Frauen gleichwie Männer.

In der Bibel steht geschrieben, Gott habe den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Was bedeutet das? Kann man aus dieser Bibelstelle nicht herauslesen, dass der Mann oder die Frau - jeder für sich - nur eine halbe Portion, einen halben Aspekt des Menschseins repräsentiert? Das deckt sich mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach sich Frauen und Männer nicht nur körperlich, sondern, wie man aus der Gehirnforschung weiß, auch in ihrem Fühlen und Denken voneinander unterscheiden. Es wurde nachgewiesen, dass Frauen eher rechtshemisphärisch und Männer linkshemisphärisch denken. Demnach ergeben sie gemeinsam ein idealtypisches Ganzhirn-Profil. Und man kann es sich in unserer Zeit der allgemeinen Strukturkrise kaum erlauben, auf Ganzhirn-Management und Ganzhirn-Gruppen zu verzichten. Für die Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft ist nicht das männliche oder das weibliche Geschlecht gefordert, sondern das gesamte Menschengeschlecht.

Advent, die dunkelste Zeit des Jahres, da wir die Geburt erlösenden Lichts herbeisehnen. Wird uns dieses Licht leuchten? Das Licht neu erwachenden Lebens, das Licht eines friedvollen Zeitalters? Wollen wir als Menschheit auf dem Planeten Erde überleben, wird es wohl notwendig sein, dass wir zu wahrem Menschsein erwachen und auf eine Art und Weise zusammenleben, in der patriarchalische Führungsansprüche ebenso wenig zu suchen haben wie die Forderung nach einem Matriarchat, das Männer ausgrenzt.

Ich lausche in die Stille. Harre aus in der Dunkelheit und warte, dass ich das Licht sehe, wenn es in der Finsternis aufleuchtet.

Wien, November 2014


[1] Weiterführende Literatur: Baumer, F.: Der Kult der Großen Mutter. Schauplätze einer mystischen Welt. Langen Müller, 1953.