Montag, 6. April 2015

Ein Hoch den Turmbauern zu Babel [1]


Wien Favoriten in Richtung Kagran
März 2015: Blick aus meinem Fenster (Wien Favoriten) in Richtung Kagran. Foto: Rosemarie Philomena Sebek

Zunächst wuchsen Hochhäuser hauptsächlich in Randgebieten der Stadt aus dem Boden. Jetzt häufen sich die Betonklötze und nähern sich dem Stadtkern. Als ich mich nach dem Nutzen der steinernen Ungeheuer in Wien erkundigte, erklärte man mir, es sei effizient, so zu bauen. Außerdem sei das besondere Flair einer modernen Großstadt auf eben solche Bauten zurückzuführen. Ob damit der gegenwärtig in Wien herrschenden Not an leistbaren Wohnungen für den Mittelstand Abhilfe geleistet werden kann, sei dahingestellt. 

Auf mich wirken diese Beigaben zum angeblich ganz besonderen Großstadtflair bedrohlich. Ich finde, dass Wolkenkratzer überall auf der Welt gleich aussehen. Sie mögen sich durch unterschiedliche Höhen und optischen Firlefanz unterscheiden, aber nicht in ihrer aggressiven Ausstrahlung. Lauter überdimensionale erregierte Penisse aus Stein, Glas und Metall. Zum Himmel schreiende Selbstverherrlichungen der Penisträger. Penetrant und aufdringlich. Phallozentrik pur! Hurra, die Turmbauer zu Babel haben gesiegt. Es ist ihnen gelungen, sich selbst zu vergöttlichen. Halleluja. Babel ist überall.

Verzückung und Begeisterungstaumel. Die Natur ist besiegt! Gott, Götter und Göttinnen sind besiegt! Ein Hoch der Ratio! Alles im Weg Stehende wird hinweggefegt, umgestaltet, vernichtet! Berge werden gesprengt, Flüsse umgeleitet, Wälder gerodet. Solange, bis nichts mehr im Weg steht und sich der Kontrolle ratio- und umsatzgeiler Phallozentriker entzieht.

Wenngleich Götter und Göttinnen gestürzt wurden, der dem abendländischen Mann innewohnende Glaube an die Kopfgeburt des griechischen Göttervaters - dass also Athene, die Göttin der Weisheit, mutterlos dem Haupt des Zeus entsprungen sei - hat überdauert. Hat sich fest eingenistet im kollektiven Unterbewusstsein. Dürfte sich im Laufe von Jahrtausenden zu einem wesentlichen Bestandteil männlicher Antriebskraft gemausert haben.

Wie musste es anno dazumal auf die Athener gewirkt haben, dass in der Orestie von Aischylos der Muttermord nicht als Blutschuld gesühnt zu werden hatte. Umsonst wetterten die Erinnyen gegen den Muttermörder Orest. Die junge Göttergeneration Apollon und Athene entwarfen ein neues Mutterbild. Sprachgewaltiges Theater. Aufruhr, Anklage und Verteidigung, Argumente und Gegenargumente. Schließlich der entscheidende Spruch der Zeustochter, dem sich die Götter anschlossen, wonach der Sohn nicht blutsverwandt mit seiner Mutter sei. Die Mutter sei nur Pflegerin des in sie gesäten Keims. Es sei ausschließlich der männliche Same, aus dem Leben hervorsprießt, wurde verkündet. Das Kind sei mit dem Vater, nicht aber mit der Mutter blutsverwandt, daher bestünde bei Vatermord Blutschuld, nicht aber bei der Ermordung der Mutter. Damit erfolgte ein Freispruch für Orest, der aus Rache am Vatermord seine Mutter Klytämnestra erschlagen hatte.

Und ebenso wie in Aischylos’ Dichtung gilt im Alten Testament die Frau bloß als Empfängerin der väterlichen Kraft. Das heilige Bündnis hat Gott mit dem Mann – mit Abraham - geschlossen.
Ein sogenannter Männerbund. Gott sprach: „Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen meines Bundes zwischen mir und euch.“[2]
Phallozentrik in Reinkultur. Das Christentum und der Islam haben den Glauben an die Vorrangstellung des Mannes, an ein von Gott gewolltes Patriarchat übernommen, was auch der Überzeugung griechischer Philosophen entsprach. So behauptete Plato, Frauen hätten keine Seele und für Aristoteles waren Frauen unfruchtbare, also minderwertige Männer.

Weltweit, so scheint es, erhob sich in grauer Vorzeit Männliches über das Weibliche, erregierte der Penis im Kampf um die Vorherrschaft zu einer Waffe. Zu einer todbringenden Waffe. Mutierte zum Donnerkeil, zum Schwert, später zum Gewehr, zur Kanone, Rakete und Bombe. Die Krönung dieser Entwicklung ist zweifelsohne die Atombombe. Mit Little Boy, wie das über Hiroshima abgeworfene Exemplar dieser Spezies von seinen Konstrukteuren liebevoll genannt wurde, war es Männern gelungen, alle bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Geburten in den Schatten zu stellen. Das Atomzeitalter hatte das Licht der Welt erblickt.

Was ist nur aus Frauen und Männern geworden? Was ist aus dem Menschen geworden? Was haben Menschen aus sich und aus der Welt gemacht? Ein globales Dorf, in dem Raubritter wüten, sich nehmen, was ihnen nicht zusteht! Wer hindert sie? Wer hat die Macht, ihnen Einhalt zu gebieten? Vielleicht die fast eine Milliarde Hungernden? Oder die vielen Millionen Flüchtlinge? Menschen, die auf der Suche nach einem Stück Heimat sind, wo sie menschenwürdig überleben können? Sie suchen vergebens. Nirgendwo entgehen sie den Machenschaften eingefleischter Phallozentriker. Deren Gier nach Geld und Macht. Diese Macher verdienen gut sogar an den Ärmsten. Jede Krise ruft schneller als Sie und ich denken können die Krisengewinner auf den Plan. Revolutionen, Kriege und Missernten bringen ihre Kassen zum Klingeln. Natur- und Wirtschaftskatastrophen sind für sie keineswegs Unglücksfälle. Im Gegenteil. Was kümmert es sie, wenn Menschen dahinvegetieren oder verrecken. Ihnen geht es einzig um Kapital- und Machtzuwachs. Damit hat es sich. 

Sagen Sie nicht, das sei Ihnen neu. Sie wissen recht gut darüber Bescheid. Sie wissen, wie mit den Ärmsten dieser Welt umgesprungen wird. Ebenso ist Ihnen bekannt, dass es selbstlose Helfer gibt, einsame Rufer in der Wüste, die von Kriegs- und Krisengewinnern einfach überfahren werden. Und Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, ahnen, dass Sie es dem Goodwill einiger Weniger ebenso wie nicht steuerbaren Geschehnissen verdanken, wenn Sie noch nicht zu den Ärmsten zählen. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie das nicht …



[1]
Auszug aus „JE NACHDEM. Also spricht Penelope“ von Rosemarie Philomena Sebek, Wien 2015.
[2]1. Moses 17, 10, 11